Ein etwas anderer Reisebericht: Tagträumer² in Beirut

Von Beirut als Partymetropole hört man nicht jeden Tag. Umso spannender fanden wir es, mit Tagträumer² über seine Erfahrungen zu sprechen, die er zusammen mit dem Kurzfilmer Heinrich Lipner in der libanesischen Metropole gesammelt hat. Außerdem ist von Tagträumer² auf dem Label „BlackFoxMusic“ gerade eine limitierte Vinyl Compilation erschienen. 298 Stück wurden gepresst und ihr könnt eine davon haben. Schreibt uns einfach unter diesem Artikel, warum ihr die Platte auf jeden Fall haben wollt.

Es heißt doch New York, Rio, Tokio. Wie kamst du auf Beirut?

Das kommt wohl aus meinen Kindheitstagen. Ich hatte eine ganz spezielle Vorliebe für ausschweifende Entdeckungen in Atlanten. Paris, New York, London hatte ich schon öfter gehört. Aber so komisch klingende Namen wie Reykjavik oder Ulan Bator machen Neugierig. Neugierig auf ferne Städte und Länder, zu denen man keine Postkartenmotive im Kopf hat.
Hans Nieswandts Buch „Disko Ramallah Und andere merkwürdige Orte zum Plattenauflegen“ infizierte mich mit seinen skurrilen DJ-Geschichten aus Ägypten, Israel und Jerusalem endgültig mit einer tödlichen Dosis Fernweh. So träumte ich schon als kleiner Schul-DJ davon, die Welt nicht nur zu erkunden, sondern auf ihren Bühnen die Diamantnadel sprechen zu lassen.

Mit dem ersten Auftritt in China, unterstützt vom Goethe Institut, bekam ich noch mehr Hunger nach Abenteuern mit dem Plattenkoffer. Klar, es wurde durch den Erfolg eigener Produktionen leichter in mehreren Clubs in Deutschland zu spielen. Doch suchte ich selber immer noch nach diesen besonderen Orten, schrieb Veranstalter an und recherchierte, ob es denn tatsächlich auch Clubs in diesen abgelegenen Regionen gibt. Dafür nahm ich auch in Kauf, größere Auftritte in der Heimat abzulehnen, um lieber in der Mongolei für meinen großen Traum zu spielen.

Letztes Jahr flog ich das erste Mal in den Libanon und entdeckte diese unerbittlich euphorische Partymetropole Beirut. Da waren doch tatsächlich 800 Leute in dieser alten Fabrikhalle und rissen zu treibenden Housebeats die Hände über die angekratzten Dächer dieser krisengebeutelten Region. Ich freute mich riesig als vor zwei Monaten wieder das Telefon klingelte und die Agentur meinte. „Hey du spielst wieder im Libanon“.

Wir wissen, dass du dort auch bei einem Vinyl-Workshop warst. Wie hat sich deine Liebe zur Platte entwickelt?

Mit 15 wollte ich unbedingt dieses DJ-Ding ausprobieren und sparte mir alles vom Mund ab, bis sich das Vinyl endlich auf einem Technics drehte. Es war nicht leicht in einer Kleinstadt wie Prenzlau an neue Platten zu kommen. Und so fuhren wir regelmäßig nach Berlin und stöberten in den prall gefüllten Regalen der Plattenläden und bekamen von ortsansässigen Plattendealern den einen oder anderen Inside-Tipp. Dieses ewige Stöbern aber auch die endlosen Gespräche über Musik sind mir sehr ans Herz gewachsen. Generell macht mir das Spielen mit Vinyl so viel Spaß, weil es mir das Gefühl gibt, Musik anfassen zu können. Die Fähigkeit zu entwickeln nur über das Gehör und nicht über die BPM-Anzeige zu mixen, dann aber auch die Wahrnehmung und die Schnelligkeit zu besitzen auf die Leute einzugehen – da geht einem viel mehr durch die Sinne, als würde man auf Zahlenanzeigen, digitale Plattenteller und Wellenformen glotzen.

Bei Workshops lerne ich immer einiges dazu. In Beirut erzählte man mir zum Beispiel, dass es vor dem Bürgerkrieg nur ein Presswerk im Libanon gab, in dem die libanesischen Cover und Schallplatten von Größen wie den Rolling Stones in eigenen Versionen nachgepresst wurden. Die Anlage wurde im Krieg bis auf die Unkenntlichkeit zerstört und seitdem auch kein Stein wieder auf den anderen gesetzt. 
Für Plattenliebhaber sind die libanesischen Versionen zu Raritäten geworden. Und so manch eine verstaubte Scheibe in libanesischen Wohnzimmern ist jetzt mehr wert, als es sich die Hausherren wohl je erträumen würden.

Erzähl uns ein bisschen über deine Begleitung, den Kurzfilmer Heinrich Lipner.

Heinrichs Portrait findet man im Lexikon unter „M“ wie Multitalent. Wenn man ihn kennenlernt trägt er das erstmal nicht so vor sich her. Aber wenn er sich dann mit dir unterhält und fragt, wie er dir helfen kann, stellst du dir schon die Frage, was der Kerl eigentlich so alles nicht macht. Ich glaube sein Geheimnis liegt in seiner Bereitschaft zu scheitern. Er stellt sich nicht zuerst die Frage, ob er alles hat, was man brauch, er macht es einfach. So ist sein im Rahmen der Berlinale prämierter Kurzfilm auch nur ein Ding, was er an einem Nachmittag mit einem Freund ursprünglich als Scherz zusammengezimmert hatte. Autoren vom VICE-Magazin waren damals in der Jury – sie haben den Scherz wohl verstanden und konnten dann einfach nicht mehr damit aufhören, herzhaft darüber zu lachen.

Neben dem Workshop hast du auch zum zweite Mal das Beiruter Nachleben kennengelernt. Wie würdest du es beschreiben und wie sind die Leute dort drauf?

In so einem Land – durchgeschüttelt von Konflikten und Kriegen – bleibt nur die Flucht nach vorne. Die Flucht jedes Wochenende auf große Partys. Vielleicht ist es ein Bisschen von dem was Berlin nach dem Mauerfall mit dem Techno erlebt hat. Denn neue Clubs entstehen dort täglich an jeder Ecke. Es wird viel ausprobiert, nicht geplant, sondern improvisiert. Genau so gestaltete sich mein Auftritt auf dem Parkdeck im Industriegebiet Beiruts mit dem Saxophonisten Malthe.
Wir lernten uns einen Tag zuvor in einer Bar kennen und beschlossen am gleichen Abend beim Soundcheck mal so zu schauen, wie wir miteinander harmonieren.
Malthe hatte ein wahnsinniges Gespür für Songaufbauten und adaptierte einzelne Melodien der Songs ohne Umwege. Wir fanden schnell heraus, wie wir miteinander spielen konnten. Diese Gelassenheit der Menschen Beiruts und vor allem die Offenheit und Durst auf Neues – die sind mir im Kopf geblieben.

Wenn wir schon bei anderen Kulturen sind, wo auf der Welt möchtest du unbedingt mal auflegen und vor allem warum?

Ich denke da sofort an Afrika. Nicht Kapstadt oder Kairo sondern Nairobi.
Modeselektor und die Gebrüder Teichmann haben ja schon ein tolles Projekt mit dem Goethe Institut in Kenia realisiert, doch in letzter Zeit entwickelt sich dort eine richtige Technoszene. Das kommt natürlich viel von ausländischen Studenten. Aber die kleinen Open Airs bekommen langsam richtigen Festival Charakter. Mich würde es nicht wundern, wenn dort bald der erste Club aufmacht.
Aber von den weiten Reisen mal ganz abgesehen gibt es noch viele Soundsysteme in der Heimat auf denen ich meinen Sound gerne spielen möchte.

Was planst du in naher Zukunft?

Im Moment sitze ich viel im Studio, arbeite an neuen Stücken und bin immer noch auf der verflixten Suche nach einer Sängerin. Die freie Zeit nach der Tour ist aber auch ganz gut, um das hauseigene Label aufzupolieren und meine Vinyl-Compilation in den Handel zu bringen. Außerdem rauchen schon wieder die Köpfe, denn die Planungen für das jährliche Open Air in Prora auf der Insel Rügen haben begonnen. Da wird viel über neue Künstler für das „Tag Am Meer“ diskutiert. Aber eins steht schon fest – wir werden eine V-Jane aus Beirut am Strand dabei haben.

Warum sollte man unbedingt eine Party von dir besuchen?

Ihr werdet einen Musiker erleben, der nicht mit dem Mauszeiger auf dem Bildschirm sondern mit wachsamen Augen auf dem Puls des Publikums feiert. Jemanden, der ständig in seinem Koffer kramt und so vertieft im Vinyl-Mixen ist, dass er sogar das Trinken vergisst.

Wen möchtest du dort auf keinen Fall sehen?

Wie stand doch letztens auf einer Eingangstür:
 „If you are 
Racist,
Sexist,
Homophobic, Or an Asshole
… don´t come in

.“ Das passt ganz gut!

Zeit, ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern. Was nervt dich an der Elektroszene am meisten?

Selbstdarstellung. Es ist ok, wenn man ein Image aufbaut, was die Motive der eigenen Musik unterstreicht. Aber viele übertreiben es und machen bei jeder Produktion ein Selfie, kopieren den Style ihrer Vorbilder auf einer unangenehme Art und Weise und posten alle zwei Stunden neue Bilder auf Facebook, Twitter und wieder auf Facebook. Dabei ist das alles Bullshit – die Musik sollte im Vordergrund stehen und nicht ein Duckface.

Wie stehst du zu den neusten Neuerungen von Soundcloud?

Soundcloud war bisher kostenlos für die Hörer. Doch mit dem Lizenzdeal der Warner Music Group wird sich das ab 2015 auf einen Schlag ändern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Dienst weiter so erfolgreich von den Usern angenommen wird. Viele Musiker sind in England schon zu Mixcloud gewechselt und hierzulande zieht die Karawane weiter nach Hearthis.at. Das Angebot ist nahezu das Gleiche. Warum sollte sich dann noch irgendjemand mit „Warnercloud“ beschäftigen? Wahrscheinlich wird dem Online-Musikdienst das gleiche Schicksal wie dem vor sich hindümpelnden Myspace ereilen. Hat dort eigentlich noch jemand ein Profil?

 

Gibt es eine Fortsetzung deiner Workshops und einem weiteren Film?

Wir arbeiten gerade mit einem größeren Team an einer Tour die Anfang April 2015 stattfinden wird. Nicht in New York, nicht in Paris und auch nicht in Tokio

Buchtipp: Hans Nieswandt – Disko Ramallah: Und andere merkwürdige Orte zum Plattenauflegen

Tagträumer² @ Beatport

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